„Die Bestie“ ist vielleicht ein etwas zu reisserischer Titel für dieses ungewöhnliche Buch. Es ist keine Gonzo-Story aus dem kanadischen Urwald, aber durchaus rasant geschrieben. Die umfassende Chronik eines Großbrandes in den Wäldern von Alberta/Kanada, wo seit fast 100 Jahren eine hochsubventionierte Bitumen-Industrie mit aufwändigen und schwer umweltschädlichen Verfahren Teersande zur Ölgewinnung ausbeutet. Tief in den borealen Wäldern Westkanadas entstand die Stadt Fort McMurray mit bis zu 120.000 Einwonern, ein großer Teil davon sind Arbeiter und Angestellte des Bitumen-Projektes. Im Jahr 2016 brannte Fort McMurray in einem Wildfeuer, das der Autor John Vaillant als eines der ersten Megafeuer im Zeichen der Erderhitzung beschreibt und das die Geschichte des Feuers neu definiert. Zumindest unternimmt dies Vaillant auf eine sehr ambitionierte Weise, er liefert die Narturgeschichte der Wälder und des Bitumen-Öls komplementär mit der Geschichte der Teersand-Industrie und der Menschen in Fort McMurray, die von einem Tag auf den anderen alles verloren.
Wenn wir uns offenen Auges in einer Zeit der Polykrisen finden und wahrnehmen, dann hilft ist diese große erzählende Reportage auf ihre Weise bei der Antwort auf die notorische Frage der kritischen Kommunikation. Der Autor stellt sie so:
„Wie spricht man über eine furchterregende Sache, ohne Angst zu verbreiten? Wie macht man die Öffentlichkeit in einem Atemzug auf die schreckliche Möglichkeit gefasst und ermutigt sie im nächsten, ihren Alltag zu bewältigen? Kann man Menschen darauf vorbereiten um ihr Leben zu rennen, ohne Panik zu schüren?“
Es ist dem Autor gelungen, zugleich sachlich umfasssend und in einem spannenden Modus über Kanadas Wildfeuer zu informieren und den Fall zugleich als exemplarische Warnung für die Veränderungen im Zeichen der Erderhitzung zu zeigen. Ein letztmögliches Management der Katastrophe ist auch den Behörden und vor allem der Feuerwehr in Fort McMurray einerseits gelungen. Ob es in all den anderen Fällen der sich häufenden Klimakatastrophen auf der Erde gelingen kann, ist noch die Frage. Nebenbei, ich könnte mir noch eine andere große Story vorstellen, eine Geschichte des Schimmels, der sich nach all den Fluten auf den Kontinenten ausbreitet und vielleicht auf ähnliche Weise wie das Feuer ein neues klimatisches Subjekt auf der Erde wird. Aber hier geht es jetzt um das Feuer und ein Buch, das mit Aufmerksamkeit zu lesen sich lohnt.
Auf dem Höhepunkt des Großfeuers in Fort Murray im Mai 2016 konnten alle Bewohner inklusive ihrer Haustiere aus der Feuersbrunst entkommen. Etwa 90.000 Menschen wurden evakuiert. Wohl unter dramatischen Umständen oft, so berichtet der Autor von Familien, die in ihren Autos durch die Feuerwand fuhren, der Vater sah seine Tochter in ihrem Auto vor sich, diese sah ihre Mutter im Auto vor ihr, in höchster Gefahr ohne Telefonkontakt, weil auch die Funkmasten verbrannt waren. Aber es gab keine Toten.
Andererseits hat die Feuerwehr den Kampf verloren, den John Vaillant in seiner haarklein rekonstruierten Chronik nacherzählt. Dieses Feuer war so mächtig, dass auch eine mit internationalen Kräften verstärkte Feuerwehr es nicht mehr in den Griff bekommen konnte. Ganze Viertel der Stadt mit ihren sündhaft teuren Grundstücken und Häusern sind abgebrannt und mit ihnen all die teuren Technik-Spielzeuge, die sich die hochbezahlten Teersandarbeiter in den borealen Wäldern Kanadas im Lauf ihres Lebens angeschafft hatten. Sie liebten die Dinge in ihren Häusern und Garagen, aber das Feuer liebte sie auch:
„Die Welt des Feuers ist ein nüchterner und elementarer Ort, an dem kohlenstoffbasierte Dinge, einschließlich Feuerwehrleuten, potentieller Brennstoff sind.“
Zynisch ist das nicht, es ist eher die Lakonie eines Subjektes, nämlich des Feuers, dem John Vaillant mimetisch begegnet. Mimesis einer Katastrophe könnte man es nennen, und keine Sorge, das Feuer hat in Fort McMurray keine Feuerwehrleute konsumiert. Insofern könnte sich dieses rasant erzähltes Dokudrama auf eine gewisse Entspannung zubewegen. Aber die Tar Sand Leute an diesem Ort tief in den borealen Wäldern Kanadas bilden eine subjektive Einheit mit ebenjener weltergreifenden Gattung des Homo Oeconomicus, die durch ihre CO2-Emissionen infolge der Erdölverbrennung solch ein bis dahin nie gesehenes Feuer in den extrem trockenen Wäldern bei extrem hohen Tagestemperaturen erst ermöglicht hat. Was auf planetarische Dimensionen verweist:
„Dies ist nicht der Planet Erde, wie wir ihn vorgefunden haben. Dies ist ein neuer Ort – ein Feuerplanet, den wir geschaffen haben, mit einer Atmosphäre, die der Verbrennung förderlicher ist als je zuvor in den letzten drei Millionen Jahren.“
Die Jahrmillionen sahen das Feuer als einen stetigen Akteur in den borealen Wäldern. John Vaillant beschreibt in den einleitenden Passagen anschaulich und naturwissenschaftlich informiert, wie zyklisches Wildfeuer diese gigantischen Wälder überhaupt erst möglich macht und am Leben hält. Das Wildfeuer ist eine ökologische Instanz in einer Natur, die ihre eigenen Antworten gibt. So bildet die häufig vorkommende Schwarzfichte („Benzin am Stiel“ im Feuerwehrjargon) mit ihren bis zum Boden hängenden Ästen eine Leiter, die es dem Feuer erlaubt in die Wipfel zu steigen und dort erst groß zu werden. Die Schwarzfichte tritt diesem Umstand evolutionär nicht etwa entgegen, indem sie ihre Äste aufgestellt hätte, nein, sie hat ihre Zapfen so gehärtet, das die Samen darin das Feuer überleben und auf dem brandgerodeten Boden umso schneller wieder keimen. Aber dies ist Wildfeuer unter ökologischen Bedingungen, vor der anthropogenen Erderhitzung.
Zu sprechen wäre hier auch über die 300.000 von Brandstiftern verursachten Waldbrände in Nordamerika, die Vaillant nur am Rande erwähnt und ich könnte noch viel berichten von der großen Leistung hinter diesem Buch (über 10 Jahre Recherche, hunderte Interviews) und seiner bestens belegten Quellenlage. Sie erlaubt dem Autor eine Geschichte des Feuers zwischen naturwissenschaftlichen Fakten, persönlichen Schicksalen und einer tief geschürften Energiegeschichte des Bitumen in Kanada, die erst mittels gigantischer Subventionen nach Jahrzehnten des Aufbaus zu jenen Erträgen führt, die in der Petrokasse klingeln und unsere Erde verbrennen. Aber lassen wir es ausgehen, dieses Rezensentenfeuerchen, mit einem schönen Vaillant-Zitat:
„Feuer will von Natur aus in die Höhe steigen – dies ist mit anderen Worten seine Aspiration, sein Bestreben, sein Verlangen. Feuer, so kann man sagen, ist Aspiration in ihrer reinsten Form: brennendes Verlangen und Verlangen zu brennen – zu existieren, zu verbrauchen, zu wachsen, zu gedeihen – mit derselben Inbrunst, mit der wir danach verlangen. Feuer besitzt kein Bewusstsein, wohl aber einen Charakter, und es gibt innere und äußere Faktoren, die es motivieren, leiten, abschrecken und besiegen. Einer dieser Faktoren sind wir…“
Vielleicht ließe sich hier schließen, dass auch der Klimawandel kein Bewusstsein hat, aber einen Charakter und natürlich ist der Homo Oeconomicus in Kanadas Wäldern auch ein globaler Faktor, oder sein Faktotum? In Alberta schreibt es seit über hundert Jahren die giftigste Petrogeschichte des Planeten, die von der Regierung befeuert wird und die globale Energiewende sabotiert. John Vaillant aber hat bis dato eine der besten Energiegeschichten im Zeichen des Feuers geschrieben, ein Thema das uns weiter beschäftigen wird.