Climate Writing Eine Buchempfehlung 🎶
#Rezension #Suhrkamp 2024
Der Autor als Designprofessor, welches Theoriedesign kommt da wohl heraus. Ein ambitioniertes jedenfalls für einen gewaltigen Stoff: das Bauen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Na ja, die Zukunft ist hier eher ein utopischer Fluchtpunkt zur moralischen Entlastung des Schreibenden, sein kritischer Blick auf das Bauen der Gegenwart führt ihn zu recht entmutigenden Perspektiven. Also hat er ein helfendes Subjekt für seine spekulative Archäologie des Anthropozäns gefunden, ein Wesen namens Aia, das als Archäologe aus der Zukunft das fragwürdige Tun unserer Gegenwart begutachtet.
Dieser Typus, der Future Geologist als hermeneutische Figur, ist mir schon in dem großartigen Climate Fiction Roman Sommer im Treibhaus von George Turner begegnet. Turner schreibt im Jahr 1989 einen Roman über ein zukünftiges Sydney, das aufgrund von Erderwärmung und Meeresanstieg bereits untergegangen ist. Die Rätsel dieser Katastrophe aber erforscht ein Journalist aus noch weiterer Zukunft. Dort stehen die Menschen wieder vor einer klimatischen Herausforderung und wollen mögliche Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Ihre wichtigste Erkenntnis über Sydney ist ein Systemfehler, dieser Fehler ist der extraktivistische Kapitalismus, der aber mit Sydney untergegangen ist.
Der australische Future Geologist könnte sehr wohl die Blaupause für Friedrich von Borries „Aia“ sein. Aber wo Turner in einem komplexen Spannungsroman eine fantastische Geschichte des Klassenkampfs schreibt, da schreibt von Borries eine Geschichte der Architektur im Anthropozän. Relativ früh situiert er sie im systemischen Spannungsfeld, Zitat: „Die Diskussion um die richtige Bezeichnung des aktuellen Erdzeitalters soll hier weder geführt noch ausführlich nachgezeichnet werden. Wichtig für den Versuch einer spekulativen Archäologie der Gegenwart ist aber, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise eine zentrale Gestalterin des Anthropozäns ist“.
Weshalb der von Borries zuvor zitierte Humangeograph Andreas Malm eben auch ganz sicher ist, dass wir im „Kapitalozän“ leben. Aia ist das nicht so wichtig, sie/er/es kann sich beim Blick auf die Sünden der Architekten noch ehrlich wundern, was ein schöner Kontrapunkt zum Skeptizismus des Autors ist. Manchmal repräsentiert der Future Geologist Aia aber auch ein wenig zu direkt die Sichtweisen seines Schöpfers.
So in Teil 1 des Buches im Großkapitel Müll, Teilabschnitt Copen Hill, jene spektakuäre Verbrennungsanlage in Kopenhagen, deren mehrstufiges Dach eine Skipiste beherbergt, 20 Euro die Stunde kostet der Spaß. Von Borries lässt sich zunächst ausführlich auf urbanistische, architektonische und ökologische Fragen dieser „urbanen Ikone“ ein, schließlich steckt ja auch der internationale Star Bjarke Ingels dahinter, kommt dann aber doch mit einer recht kritischen Volte zum Schluss:
„Die von Guy Debord beschriebene „Gesellschaft des Spektakels“ hat nun also auch die Müllverbrennungsanlage erreicht: Müll kann ein Erlebnis sein und Spaß machen. Dazu passt, dass Bjarke Ingels das Ziel seiner Vorgehensweise als „hedonistische Nachhaltigkeit“ bezeichnet. Anscheinend ist Ingels nicht nur architektonisch ein Meister des Euphemismus. Nachhaltigkeit ist gut, aber Spaß muss sie halt auch machen.“ Woraus Future Geologist Aia am Ende schließt, dass die reichen Gesellschaften des Nordens die Zerstörung der Welt zu verantworten haben. Selbstzerstörung und Müll, unendlich viel Müll, das müsse wohl das Wesen des Anthropozäns sein.
Bei Aia denkt man an Gaia, das absolute Subjekt Erde, in das Bruno Latour noch reichlich Hoffnung projizieren konnte. Friedrich von Borries verzichtet zunächst einmal auf jeden Trost und lässt einen kalten analytischen Blick über das Panoptikum der architektonischen Unvernunft schweifen. Ich gebe zu, er bestätigt viele meiner eigenen Erfahrungen und Ansichten, ist aber – auch durch die Fülle des Materials, sehr dem einmal entwickelten Rhetorikdesign verpflichtet – interessante Projekte beschreiben, ökologisch klimakritische Kontexte einschreiben, kritische Pointe ausschreiben. Wirklich stören kann das nur, wenn man das Buch von vorn bis hinten durchlesen will, beim Querlesen kommt eine produktive Dialektik zum Tragen, die auch als Dreischritt Klima-Krise-Widerspruch funktioniert, so ungefähr.
Das Buch liefert eine Fülle von Beispielen, die reichlich Raum für eigene Reflexionen und Beurteilungen lassen und am Ende Einblicke in die wichtigsten architektonischen und städtebaulichen Tendenzen unserer Zeit geben. Die Lieblingslektüre für Optimisten dürfte es schwerlich werden und es scheint ausserdem, als wären auch auf diesem Feld vor allem „die Milliardäre“ am Start. Bjarke Ingels kennt sich mit ihnen aus, von Borries zieht Aufträge für die Bjarke Ingels Group aus allen Ecken und Enden der Welt immer wieder heran. In Teil II Überleben finden wir die BIG in der Abteilung Neustart. Ingels entwirft derzeit die Wüstenstadt Telosa für 50.000 Einwohner, beauftragt von einem Tech-Miliardär, der sein Geld mit E-Commerce für Amazon und Walmart gemacht hat. Es soll eine ökologische Musterstadt und überhaupt „die nachhaltigste Stadt der Welt“ werden. Im Planungsstadium ist es vor allem ein Schlaraffenland für Technofreaks, für unseren Autor aber wieder nichts:
„Derartige Entwürfe sind Idealstädte für wenige: Gated Communities für Wohlhabende, die den Gesellschaftsvertrag aufkündigen, sich aus der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung verabschieden und sich auf der Flucht vor globalen Veränderungen in die Wüste zurückziehen.“
Wirklich dystopisch ist The Line, ein Projekt der Saudis. Sie wollen in ihrer Wüste eine „zivilisatorische Revolution“ auslösen mit einem Bauwerk, das 170 Kilometer lang ist, nur 200 breit, aber 500 Meter hoch, autofrei und CO2-neutral auf Sonnenbasis. The Line regt die Phantasie vieler Architekten an, engagiert sind nicht gerade die Jüngsten, wie von Borries bemerkt. Aber was sie da tun, führe in eine abgekapselte, leicht zu unterdrückende Gesellschaft, was durch Innovationen und ökologische Nachhaltigkeit auch nicht besser wird.
„Historisch gesehen ist Architektur selten emanzipatorisch.“
Das sitzt, apodiktisch verkündet in Teil IV Schuld, Kapitel Herrschaft, über Architekturen der Unterdrückung und Gewalt. Wobei der Autor die „Nachhaltigkeit“ der engen Beziehungsgeschichte Architektur, Macht und Kapital bis dahin schon hinlänglich vorgeführt hat. Mit Teil V Ausblick auf eine planetare Architektur, gibt es dann doch noch Lichtblicke, was wär eine KLIMAKULTUR auch ohne sie: Architekten können auch Widerstand leisten gegen die Zerstörung des Planeten. Mögen sie schnell erwachen, aber das „Anthropozän“ als Konzept, das könnten wir kulturphilosophisch langsam einschlummern lassen.