Kulturkampf gegen Grün

Ein Debattenbuch zum Thema „Grüne“ am Ende dieses Jahres passt zur Lage der politischen Nation. Der Autor Bernd Stegemann ist bekannt und seine Stellung gegen „Die Grünen“ auch. Was also ist interessant an diesem Buch? Das Kernige kommt erst relativ spät und betrifft eine grundsätzliche Orientierung der politischen Strategie. Da gibt es, so weiß der Autor, zwei Möglichkeiten: Entweder macht man ökologische Themen zum Inhalt von Parteipolitik, oder man macht Ökologie zur politischen Methode:  

„Zwischen beiden Arten von ökologischer Politik besteht ein kategorischer Unterschied, und es ist unschwer zu erkennen, dass die Grünen der ersten Variante folgen. Ökologie ist politischer Inhalt und keine politische Methode. Damit sind sie Teil des politischen Systems, das versucht, die Probleme der Zeit zu bewältigen. Sie sind aber entgegen ihres Selbstverständnisses nicht Teil des gesellschaftlichen Aufbruchs, der als Rettung vor der menschlichen Hybris das ökologische Denken erlernen will. Ökologie bleibt bei den Grünen ein politischer Inhalt und wird nicht zu einer Denkweise.“

Da mir als Klimakulturjournalist eine solche ökologische Denkweise sehr gelegen käme – man lernt nie aus, würde ich eine exemplarische Durchführung oder zumindest Vorstellung   solcher Denkweise sehr begrüßen. Aber daraus wird hier nichts oder jedenfalls nicht so viel, denn Stegemann ist viel zu beschäftigt mit seiner Offensive gegen die ökologische Moral, die bei den Grünen die Stelle der ökologischen Politik eingenommen habe: 

„Moralische Belehrungen sind Mittel autoritärer Politik, die hohe Kosten bei der Durchsetzung erzeugen. Moral hat in der politischen Ökologie die gleiche Wirkung wie Pestizide in der natürlichen Ökologie. Sie beseitigen mit grobem Geschütz die Bösen und reinigen den Platz für die Guten. In der Landwirtschaft wächst langsam das Bewusstsein, dass die Chemiekeule mehr schadet als nutzt, und man sucht nach ökologischen Antworten. Bei Grünen Politikern wartet man bisher vergeblich auf die Einsicht, welchen Schaden ihre grobe Moralkeule anrichtet.“

Ganz schön brutal das da mit der Moral, aber im Kern liegt hier das treibende Motiv des Textes vor: Der Vorwurf, dass das ökologische Thema bei den Grünen Eliten in den faschen Händen liegt, er wird in immer neuen Varianten serviert. Ich werde zum Glück nicht so massiv von diesem verruchten Grünen Moralsubjekt der abgehobenen Mittelschicht moralisiert, weil ich kein TV gucke und in einem Arbeiterbezirk lebe, andererseits fehlt mir dadurch im Ganzen doch oft das konkrete Beispiel. Stegeman dagegen scheint die Grünen recht gut zu kennen, ich nehme an durch sein Wirken als Dramaturg, wo ihm die woke Allmacht mit dem performativen Theater in die Queere kommt. Aber er setzt derartige Leidenserfahrung für seine Leser voraus, die sie wohl nicht immer haben oder nur sattsam von den reaktionären Diskursen kennen. So punktet er meist selbst auf dem Niveau der moralischen Verdammung und liefert leider keine konsistente analytische Begründung. Nun gut, es ist wohl ein sogenanntes Debattenbuch, gelernt habe ich nicht viel, aber ich vermute, die Spezies der schwarzen Anti-Grünen – von Söder bis Merz&Co, kann hier noch Munition für ihr eigenes Grünen-Bashing abstauben.    

Mir selbst bringt mehr noch meine betagte Mama bei. Kürzlich Skip-Bo, das flotte Kartenspiel für die ganze Familie. Man legt abwechselnd Karten von 1 bis 12 in geschlossenen Reihen, je nachdem ob die passende zur Hand ist oder auf dem zentralen Häufchen erscheint, und wem Taktik und Zufall am besten helfen, der wird die Karten auf der eigenen Hand am schnellsten los und gewinnt. Vielleicht wollen manche Leute Skip-Bo lieber alleine spielen, dann gewinnen sie auf jeden Fall. Irgendwie erinnern mich Stegemanns Argumentationsmuster an die Anlegelogik bei Skip-Bo, 1,2,3… und wenn nichts mehr geht, fängt er eine neue Reihe an, 1,2,3,4… – und was ganz praktisch ist, es gibt in diesem Kartenset auch ziemlich viele Joker.

Aber noch einmal zu den eher theoretischen Reizen in Stegemanns Buch:  

„Eine ökologische Politik kann … auf zwei sehr verschiedene Weisen verstanden werden. Zum einen kann damit gemeint sein, dass Politik sich die Inhalte der Ökologie zu eigen macht und hierfür in der gleichen Art kämpft wie andere Parteien für soziale Gerechtigkeit oder die Marktwirtschaft. Zum anderen kann damit aber auch gemeint sein, dass das politische Handeln die Denkweisen der Kybernetik und Systemtheorie erlernen will, um die Politik selbst zum Teil der Ökologie der sozialen Systeme zu machen.“

Das ist eigentlich eine interessante Idee – Politik als Teil einer Ökologie der sozialen Systeme. Auf der Suche nach dieser Politik oder auch jener Ökologie ist die emotionale Ebene der Debatte wie bei Stegemann allerdings ein inhaltlich leerer Pfad voller Polemik und Ressentiment. Ich suche weiter und gerate zu Ingolfur Blühdorn und seiner Studie „Unhaltbarkeit“ bei Suhrkamp. Hier findet sich durchaus ein der von Stegemann erwünschten Systemtheorie verbundenes Werk. Das Projekt Klimakultur, so hieß das mal schüchtern bei Harald Welzer und heißt es nachhaltig immer noch bei mir, liegt allerdings bei Blühdorn auch in falschen Händen (siehe Stegemanns Untertitel). Der Soziologe Blühdorn hebt sich vom emotiven Debattenstil natürlich ab durch vordergründig das kritische Denken anregende Begriffsformationen, so etwa das „ökoemanzipatorische Projekt“ (ÖEP) oder die „ökosoziale Transformation“ (ÖST) aber sie wurden, seit der Autor sie vor über 20 Jahren eingeführt hat, kaum einmal gründlicher belegt oder theoretisch erneuert und sind im eigentlichen Sinn aller systemtheoretischen Einsätze im Feld der Ökologie selbstreferentiell, ein rhetorisches Symposium der makrosoziologischen Fantasie im geschlossenen System ihrer eigenen Theorie. 

Ich behaupte das jetzt einfach mal, so wie Blühdorn folgendes nach langer Texte kurzem Sinn behauptet:

„Wer in der dritten Moderne, in der Gesellschaft der Ungleichheit und Exklusion, auf der Seite der Verlierer sitzt, ist resilient, wenn er sich durch seine Ausgrenzung und seine »gekränkte Freiheit« möglichst nicht aus der Bahn werfen lässt, sondern sich – materiell und psychologisch – mit den Verhältnissen zu arrangieren versucht. Wer sich auf der Gewinnerseite wiederfindet, muss sich dagegen unempfindlich und unempfänglich machen für die soziale und ökologische Verwüstung die mit »seiner Freiheit“, »seinen Werten“ und »seinem Lebensstil« unzertrennlich verbunden sind. Hier bedeutet Resilienz, mit der kognitiven und ethischen Dissonanz leben zu lernen.“ 

Danke, Systemtheorie! Na dann mal Prost in der Dritten Moderne, auf das Klima! Ich vermute Blühdorn in der zweiten Gruppe, in der Stegemann auch die Grüne Elite verortet, die Ökogewinnler:innen, die sich mit der ethischen Dissonanz gut einzurichten wissen.  Von der ersten Gruppe hat Blühdorn aber im übertragenen Debattensinn auch etwas gelernt. Indizien finde ich in der profunden und überzeugenden Blühdorn-Kritik von Karl-Werner Brand „Das schwarze Loch der nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ (s Link, ich berufe mich darauf), in der die bei Blühdorn unzulänglichen Angebote für eine soziologische Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung diskutiert werden. Ich mache es mir leicht und zitiere der Einfachheit halber das Abstract:

„Ingolfur Blühdorn hat in den vergangenen Jahren in vielen kritischen Beiträgen die These vertreten, dass wir uns entgegen den „naiven Hoffnungserzählungen“ der transformativen Nachhaltigkeitsforschung in einem strukturell geschlossenen System der „nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ bewegen. Sein Forschungsinteresse zielt auf die Klärung der Frage, warum sich dieses System der „Nicht-Nachhaltigkeit“ trotz des gestiegenen Umweltbewusstseins und aller Nachhaltigkeitsaktivitäten über Jahrzehnte hinweg so stabil halten konnte und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Der für ihn zentrale Erklärungsfaktor ist dabei – als Nebenfolge sozio-kultureller Modernisierungsdynamiken – die Radikalisierung von Selbstverwirklichungsansprüchen, die konsumtive, nicht-nachhaltige Identitäten und Lebensstile zu unverhandelbaren Voraussetzungen demokratischer Politik werden lassen. Das führe zwangsläufig zur Transformation der Demokratie in ein „postdemokratisches“ Instrument der Verschärfung von Ungleichheit und Exklusion, was aber durch „simulative Nachhaltigkeitspraktiken“ und „Praktiken der Selbstillusionierung“ überdeckt werde. Der Beitrag rekonstruiert die zentralen Argumentationsschritte dieses Ansatzes und diskutiert seine zentralen Annahmen, insbesondere die der „Emanzipation zweiter Ordnung“ und der „postdemokratischen Wende“. Diese Annahmen erweisen sich, so das Ergebnis dieser Diskussion, sowohl historisch wie theoretisch als unhaltbar.“

Das sitzt, unhaltbar. Aber wie gesagt, in der Loser-Gruppe eins (siehe Blühdorn-Zitat oben) ist Resilienz angesagt, und dazu gehört auch die gute alte asiatische Kampftaktik: Nutze die Energie des Angreifers für dich, übernehme sein Schwert und nenne dein neues Buch (mit den leider alten Thesen) „Unhaltbarkeit“. Auch eine Methode.